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Alle fünf Jahre wird Kassel für 100 Tage zum Mekka für Fans zeitgenössischer Kunst. Die Documenta 14 lockt noch bis September wieder hunderttausende Besucher nach Nordhessen. Ich habe mich auf der größten Kunstausstellung der Welt umgeschaut.
Wahrzeichen der Documenta 14 ist das „Parthenon der Bücher“ der argentinischen Künstlerin Marta Minujin mitten auf dem Friedrichsplatz im Herzen der Stadt – dort, wo 1933 noch Bücher verbrannt wurden. Das 65 Meter lange Monument ist eine Nachbildung der Akropolis in Athen und nicht zu übersehen. Das Besondere an diesem Bauwerk: Sein Metallgerüst ist verkleidet mit gespendeten und verbotenen Büchern.
Ein Tempel aus verbotenen Büchern
Rund 40.000 Bände sind bereits in Folie eingewickelt und verbaut, bis zum Ende der Ausstellung sollen es 100.000 werden und alle Säulen verdeckt sein. Auch du kannst ein Buch mitbringen und in die Box vor dem Tempel einwerfen. Einzige Voraussetzung: Es muss irgendwo auf der Welt zensiert gewesen sein. Brecht und Mann sind hier neben Goethe und Schiller zu finden, aber auch Bände von Mickey Mouse, die in der DDR verboten waren.
Wie das „Parthenon der Bücher“ sind viele der über die Innenstadt verteilten Außenkunstwerke frei zugänglich und können auch ohne Eintrittskarte zur Ausstellung besichtigt werden. Wenn du Lust hast, kannst du also eine kleine Tour durch die Stadt machen und dich auf die Suche nach der Kunst begeben. Die Documenta selbst bietet vier solcher Spaziergänge als geführte Parcours an.
Wenn du auf Entdeckungstour gehst, werden dir auch immer wieder Kunstwerke von früheren Ausstellungen begegnen. Am bekanntesten ist sicherlich der „Himmelstürmer“ von Jonathan Borofsky, der nach der Documenta 9 seinen festen Platz vor dem Kulturbahnhof gefunden hat. Direkt vor dem „Parthenon der Bücher“ kannst du im Boden den „Vertikalen Erdkilometer“ der Documenta 6 suchen. Und auf dem Gebäude neben dem Fridricianum stehen „Die Fremden“, auch ein Kunstwerk von der Documenta 9.
In der Karlsaue hält ein Baumstumpf immer noch einen Stein, das Kunstwerk „Idee di Pietra“ ist nach der letzten Ausstellung vor fünf Jahren dort stehen geblieben. Und der „Rahmenbau“ der Architekten- und Künstlergrupppe Haus-Rucker-Co direkt neben der Documenta-Halle dient nun schon seit der Documenta 4 Einheimischen und Besuchern als ungewöhnlicher Bilderrahmen.
Die Documenta 14 ist politisch
Ein Startpunkt für deinen Kunstspaziergang könnte der Königsplatz im Zentrum sein. Hier fügt sich das Werk „Das Fremdlinge und Flüchtlinge Monument“ so gut ein, dass es fast gar nicht auffällt. Auf dem 16 Meter hohen Obelisken von Olu Oguibes steht in vier Sprachen und goldenen Buchstaben ein Zitat aus der Bibel: „Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt“.
Die 14. Ausgabe der Documenta ist politisch und topaktuell. Migration, Flucht und Vertreibung sind die großen Themen der Kunstschau. Und um diese auch in Kassel sichtbar zu machen, hat Adam Szymczyk als künstlerischer Leiter nicht nur auf die bekannten Ausstellungsorte gesetzt. In der alten Hauptpost in der Nordstadt befindet sich für die Zeit der Ausstellung die „Neue Neue Galerie“. Das Mitte der 70er Jahre gebaute, wuchtige ehemalige Briefverteilerzentrum ist ein Standort, an dem sich Kunst und Flucht treffen. In Kassels Nordstadt wohnen vorwiegend Einwanderer, hier bestimmen Dönerläden und Shishabars das Bild.
Draußen vor der „Neuen Neuen Galerie“ laufe ich direkt in die Spazierperformance der serbischen Künstlerin Irena Haiduk. Sechs Mitglieder ihrer „Armee schöner Frauen“ tragen in voller Yugoform ein Buch auf dem Kopf durch die Stadt. Drinnen setzt sich unter anderem die palästinensische Fotografin Ahlam Shibli in einer Serie von rund 50 Fotografien unter dem Titel „Heimat“ mit dem Thema Flucht auseinander.
Bauröhren werden zur Wohnung
Fast real erlebbar macht dieses Oberthema auch eines der neben dem „Parthenon der Bücher“ wohl meist fotografierten Kunstwerke der Documenta 14. Mit „When we were exhaling“ hat Hiwa K, ein in Berlin lebender Iraker, eine Installation aus Röhren aufgebaut. Sie erinnern an Kanalrohre, die auf Baustellen verwendet werden, und stehen bildhaft für notdürftige Behausungen von Flüchtlingen beispielsweise in Griechenland.
Studierende der Kunsthochschule Kassel haben die Röhren direkt vor der Documenta-Halle wohnlich gestaltet. Vom Wohnzimmer bis zur Küche und dem Badezimmer ist hier auf kleinstem Raum an fast alles gedacht. Ein Kunstwerk, das zum Nachdenken anregt.
Das gilt auch für die Instrumente aus Trümmern von Bootwracks des Mexikaners Guillermo Galindo in der Documenta-Halle. Der Künstler war in den Flüchtlingscamps im griechischen Lesbos unterwegs und fand dort viele dieser Wracks. Er verwandelte sie mit Trommeln und Saiten zu Musikinstrumenten, herausgekommen sind die „Fluchtzieleuropahavarieschallkörper“.
Und auch viele Ausstellungsstücke im Fridricianum werden von den Oberthemen der 14. Documenta geprägt. Den Anfang macht direkt das Eingangsportal, wo „Being safe is scary“ (Sicher sein ist gruselig) anstelle des Schriftzugs mit dem Namen des Museums zu lesen ist. Ein Werk der türkischen Künstlerin Banu Cennetoglus. Drinnen wird die Sammlung des Athener Museums für zeitgenössische Kunst (EMST) ausgestellt. Und egal ob die Installation aus Nato-Stacheldraht „Acropolis Redux“ von Kendell Geers oder Emily Jacirs Memorial für 418 zerstörte und besetzte palästinensische Dörfer – Flucht und Vertreibung sind auch hier präsent.
Ist das Kunst oder kann das weg?
Die meiste Aufregung hat bisher aber das Kunstwerk „Expiration Movement“ des Künstlers Daniel Knorr verursacht. Seit der Eröffnung der Documenta an ihrem zweiten Standort in Athen Anfang April lässt er Rauch aus dem Zwehrenturm am Fridericianum aufsteigen und hat damit bereits für einige besorgte Anrufe bei der Kasseler Feuerwehr gesorgt. Aber keine Sorge: Auch das ist Kunst, wie so vieles derzeit in Kassel.
Die Documenta 14 ist noch bis zum 17. September 2017 in Kassel zu sehen und täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Das Tagesticket kostet regulär 22 Euro. Weitere Informationen findest du auf der Website unter www.documenta14.de.