Hamburgs nördlichster Stadtteil liegt mitten in der Nordsee und du kannst bei Ebbe zu Fuß durchs Watt rüberlaufen. Der Leuchtturm ist sogar das älteste Gebäude der Hansestadt. Ein Wochenende auf der Insel Neuwerk.

Es ist Samstagmorgen kurz vor sieben, die Sonne ist gerade erst aufgegangen. Das frühe Morgenlicht lässt das Watt glitzern. Es soll nochmal ein richtig warmer Sommertag werden, noch ist es aber eher frisch. Wir stehen in Cuxhaven-Sahlenburg am Strand und unser Ziel ist am Horizont bereits zu sehen: die Insel Neuwerk. Hamburgs nördlichster Stadtteil steht schon lange auf meiner Wunschliste – und nun trennen uns nur noch die zehn Kilometer durchs Watt vom Ziel.

Diese Wattwanderung fühlt sich allerdings an wie eines der letzten Abenteuer unserer Zeit, bestimmen doch die Gezeiten komplett den Rhythmus der Insel. Die wechseln täglich – und ob die Tour über den markierten Weg auf dem Meeresgrund machbar ist, hängt auch vom Wetter und dem aktuellen Wasserstand ab. „Alles über 20 Zentimeter über dem mittleren Niedrigwasser wäre semigut und schlechter“, hatte mir Wattführer Thomas Lehmann von Gönn dir Watt mit auf den Weg gegeben und eingebläut, nicht später als zweieinhalb Stunden vor Niedrigwasser in Sahlenburg zu starten. Wir haben Glück und liegen sogar 20 Zentimeter unter mittlerem Niedrigwasser, also beste Voraussetzungen.

Unterwegs durchs Watt zur Insel Neuwerk

Unser Gepäck haben wir gerade auf der Laderampe für die Wattwagen abgelegt, verpackt in einen blauen Müllsack und beschriftet mit unserem Namen, einer Telefonnummer und unserem Hotel auf der Insel. „Das wird später abgeholt und direkt zu uns gebracht“, hatte mir Christian Griebel vom Hotel Nige Hus versprochen. Hier scheint die Welt noch richtig in Ordnung zu sein. Neben unserem Sack liegen noch gut zwei Dutzend weitere blaue Müllsäcke und wir sind auch ganz offensichtlich nicht die einzigen, die heute nach Neuwerk wandern wollen. An der Rettungsstation in Sahlenburg, dem Ausgangspunkt für die Wattwanderungen, ist schon einiges los.

Morgenstimmung am Strand: drei Reiterinnen auf dem Weg zur Insel Neuwerk
Morgenstimmung am Strand: drei Reiterinnen auf dem Weg zur Insel Neuwerk

Wir freuen uns über das frühe Niedrigwasser, haben wir so doch wirklich den ganzen Tag vor uns. Also nichts wie los! An den Füßen haben wir Turnschuhe und Socken, dazu kurze Hosen und einen Windbraker. Im Rucksack sind Getränke, ein paar kleine Snacks und trockene Klamotten. Turnschuhe? Ja, denn mit Gummistiefeln bleibst du im Schlick stecken – und dass auch Wattschuhe für diese Strecke nicht zu empfehlen sind, wirst du spätestens am ersten Priel merken, wenn du über die spitzen Schottersteine laufen musst.

Wir gehören fast zu den ersten, die sich auf den Weg machen. Hinter uns ist eine Gruppe Mädels mit ihren Pferden, die durch die Morgensonne an uns vorbei durchs Watt traben. Und gleich danach startet auch noch eine der geführten Wattwandergruppen.

Abenteuer Watt: Auf Tuchfühlung mit Strandkrabben & Co.

Noch sind meine Füße trocken, vorbei an den ersten Wattwürmern, Muscheln und kleinen Prielen bleibt das aber nicht lange so. Und dann sind auch schon das erste große Priel und einige Wattwagen in Sicht, die sich früh am Morgen von der Insel aus auf den Weg Richtung Festland gemacht haben. Rund 120.000 Besucher kommen pro Jahr nach Neuwerk, die meisten für einen Tagesausflug. Ein fröhliches „Moin“ rufen uns die Kutscher zu, während sie ihren Wagen durchs Priel manövrieren. Bis zu den Waden sind die Pferde im Wasser – und spätestens jetzt ist klar, warum die Wagen höhergelegt sind.

Auch für uns heißt es nun, durch das Priel zu waten und ich bin froh, dass wir heute besonders wenig Wasser haben. Richtig nass wird es allerdings erst beim zweiten Priel. Normalerweise steht dir dort das Wasser bis zum Po. Hier verstehst du dann auch, warum die Tour ganz schnell gefährlich werden kann. Wer zu spät startet und von der Flut überrascht wird, gerät in Gefahr. Für den Notfall stehen drei Rettungsbaken entlang der Strecke.

„Nach dem zweiten Priel ist dann eigentlich alles ganz einfach“, hatte Thomas Lehmann gesagt – und tatsächlich gibt es ab hier nur noch kleine Priele mit wenig Wasser, in denen wir unter anderem die Strandkrabben beobachten können. Und dieses Naturschauspiel im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer ist tatsächlich ziemlich cool. Dass du hier alle sechs Stunden über den Meeresgrund spazieren und eine eigentlich versteckte Welt entdecken kannst, ist schon unglaublich. Inzwischen ist es auch richtig schön warm geworden, wir sind längst wieder trocken und genießen die letzten Kilometer.

Willkommen auf Neuwerk – und mitten in Hamburg

Die Insel Neuwerk mit ihrem markanten Leuchtturm ist schon eine Weile gut zu sehen, unser Ziel können wir also nicht verfehlen. Gerade werden wir von den ersten Wattwagen überholt, die noch ein Stückchen vor uns wieder Land erreichen. Und dann laufen auch wir nach etwa zweieinhalb Stunden den kleinen Weg hoch auf die Insel und sind damit – etwa 100 Kilometer Luftlinie vom Rathaus entfernt – plötzlich wieder mitten in Hamburg.

Seit über 700 Jahren gehört die Nordseeinsel Neuwerk mit kurzen Unterbrechungen zur Hansestadt. Der vorgelagerte Stützpunkt in der Elbmündung war früher vor allem von hoher strategischer Bedeutung. Die Neuwerker sind bis heute stolz darauf, waschechte Hanseaten zu sein – und so werden wir auf der Insel auch direkt von einem großen Schild in der Freien und Hansestadt Hamburg begrüßt.

Schon 1310 wurde der Leuchtturm errichtet, um Piraten abzuschrecken. Den Inselbewohnern diente er außerdem als Zufluchtsort, vor allem während der schweren Sturmfluten. Das 45 Meter hohe Bauwerk ist nicht nur das höchste Gebäude der Insel, sondern heute zudem das älteste Gebäude Hamburgs. Das Leuchtfeuer funktioniert zwar noch, brennt aber nicht mehr. Den Schiffen weist stattdessen seit 2014 der weiße Radarturm im Nordwesten der Insel den Weg. Die 138 Stufen hoch zur Besucherplattform sind den Aufstieg aber definitiv immer noch wert: Von oben hast du einen tollen Panoramablick über die Insel und das Wattenmeer bis hinüber zum Festland.

Entspannte Ruhe: das Dorf im Wattenmeer

Beim Blick hinunter vom Wahrzeichen der Insel siehst du: Verlaufen kannst du dich auf Neuwerk nicht. Und dabei ist die Insel drei Mal so groß wie Helgoland. Tatsächlich gibt es auf dem drei Quadratkilometer großen Eiland aber eigentlich nur zwei Wege: über den Deich oder entlang des Mittelwegs quer über die Insel. Für die Strecke über den Deich brauchst du etwa eine Stunde – und dann hast du auch schon fast alles gesehen, was es auf Neuwerk gibt.

40 Einwohner, ein paar mehr Pferde und Kühe, eine Inselschule mit zwei Schülern, zwei Briefkästen, ein Sportplatz, ein Feuerwehrhaus, der Hubschrauberlandeplatz für Notfälle, ein paar Lokale und Unterkünfte – mehr hat dieses Dorf im Wattenmeer nicht zu bieten. Nach einem Tag kennst du gefühlt jeden.

Und genau das macht den Charme von Neuwerk aus und die Insel zum perfekten Ziel für ein Wochenende fernab vom Großstadttrubel. Handyempfang gibt es fast keinen, stattdessen kannst du ganz viel Vitamin Sea und tonnenweise frischeste Nordseeluft tanken. Das machen wir auch gleich. Schnell noch ins Hotel, wo unser Gepäck schon auf uns wartet, umziehen, mittagessen – und dann nichts wie los zum Strand! Auch den gibt es, allerdings nur bei Niedrigwasser. Dann kannst du rund um den Schiffsanleger einen Strandspaziergang machen.

Unterwegs auf Neuwerk: von Strand bis Salzwiesen

Inzwischen ist die Nordsee wieder zurück und direkt neben dem Jachthafen gibt es eine Liegewiese mit Treppe runter ins Wasser. Bei knapp 30 Grad ist das heute the place to be auf Neuwerk – und mit ihrem strahlend blauen Wasser und den zwei Segelyachten, die auf den Wellen schaukeln fühlt sich die Nordsee fast ein bisschen wie Mittelmeer an. In der Sonne liegen, immer mal wieder Schwimmen gehen und ansonsten einfach nichts tun, dafür ist das kleine Neuwerk quasi wie gemacht.

Direkt neben dem Yachthafen ist eine der Badestellen
Direkt neben dem Yachthafen ist eine der Badestellen

Ein bisschen was zu sehen gibt es aber selbst auf Neuwerk und so erkunden wir anschließend weiter die Insel. Das Zentrum liegt auch heute noch auf der Turmwurt rund um den Leuchtturm. Hier befindet sich die Nationalpark-Station und beim Inselkaufmann Hartmut Lange kannst du Lebensmittel, Postkarten und selbstgemachten Neuwerker Eiergrogg kaufen. Mitbringsel von der Insel, Kalender, Bücher oder T-Shirts und Jacken mit Neuwerk-Motiven gibt’s außerdem in der Neuwerkstatt von Werner Flegel direkt neben der Inselschule.

Wir laufen anschließend vorbei am „Friedhof der Namenslosen“ Richtung Ostvorland. Entlang der Salzwiesen rund um die Ostbake geht es dann vorbei am alten Badehaus und Radarturm zurück Richtung Schiffsanleger. Jetzt haben wir tatsächlich die gesamte Insel gesehen und gönnen uns zum Abschluss einen der selbstgebackenen Kuchen im Hus achtern Diek. Und da Seeluft ja bekanntlich nicht nur hungrig, sondern auch müde macht, schaffen wir es am Abend gerade noch auf einen Drink ins Dorfgasthaus „Zum Anker“, bevor wir direkt ins Bett fallen. Der Anker wird übrigens von Hamburgs letztem Piraten geführt, wie wir im Artikel über dem Tresen lesen. Das schauen wir uns morgen nochmal genauer an!

Nationalpark Wattenmeer: Einblicke ins Weltnaturerbe

Sonntagmorgen, der Himmel ist grau. Über Nacht ist das Wetter umgeschlagen, es ist bewölkt und regnet sogar. Typisches Nordseewetter also anstatt Mittelmeerfeeling. Aber selbst für solche Tage hat die Insel etwas zu bieten. Und so nutzen wir den eher tristen Vormittag für einen Besuch im Nationalpark-Haus Neuwerk. Die Insel gehört zum Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer, dem kleinsten der drei Nationalparks im deutschen Wattenmeer.

Im Nationalpark-Haus können große und vor allem kleine Gäste eintauchen in diese besondere Welt – und das sehr anschaulich. Im Tideaquarium beispielsweise wird der Wechsel der Gezeiten im Kleinformat dargestellt und im Meerwasser des riesigen Beckens können Muscheln, Strandkrabben und Wattwürmer beobachtet werden. Das Team bietet außerdem regelmäßig Insel- und Wattführungen, Vogelbeobachtungen und Exkursionen auf die Salzwiesen oder zu den Nachbarinseln Scharhörn und Nigehörn.

Für uns geht der Kurzurlaub auf unserer Hamburger Insel im Watt aber langsam schon wieder zu Ende. Zurück fahren wir mit der MS Flipper – und das schon eineinhalb Stunden früher als geplant. „Die Abfahrt verschiebt sich. Wir bitten um Verständnis“, hatte die Reederei Cassen Eils am Morgen per SMS informiert. Auch das ist Neuwerk: Der Fahrplan der Fähre richtet sich hier ebenfalls nach den Gezeiten. Und so geht es bei Hochwasser zurück nach Cuxhaven, begleitet von zahlreichen Containerriesen, die über die Elbe auf dem Weg nach Hamburg sind. Wenn wir früh genug zurück sind, können wir uns abends sogar noch zum Schiffe gucken an die Elbe setzen und sie begrüßen.

 

Praktische Tipps

Durchs Watt nach Neuwerk wandern kannst du ab Cuxhaven-Sahlenburg (10 Kilometer) und ab Cuxhaven-Duhnen (12 Kilometer). Anfängern wird zu einer geführten Tour geraten. Du kannst aber auch alleine starten, musst dich dann nur im Vorfeld sehr genau über Wetterlage und Gezeiten informieren. Die aktuelle Wasserstandsvorhersage findest du beim Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie. Von beiden Orten aus fahren zudem die Wattwagen, für die du dir unbedingt im Vorfeld Plätze reservieren solltest. Eine Übersicht der Unternehmen findest du bei Cuxhaven Tourismus. Die Reederei Cassen Eils fährt von April bis Oktober vom Anlieger „Alte Liebe“ in Cuxhaven nach Neuwerk, die Tour zur Insel dauert normalerweise 1,5 Stunden. Eine Übersicht der verschiedenen Zeiten für Wattwanderung, Wattwagenfahrt und Fähre findest du im aktuellen Fahrplan für 2019.

Wir haben im Nige Hus übernachtet, dem einzigen Vier-Sterne-Hotel der Insel. Weitere Optionen sind Das alte Fischerhaus oder das Hus achtern Diek. Besonders bei Familien sind außerdem die Strohhotels beliebt und auch Zeltplätze gibt es. Alle Angebote verfügen zudem über ein gastronomisches Angebot, die wichtigsten Lebensmittel bekommst du außerdem beim Inselkaufmann Lange.

Warst du schon mal auf Neuwerk und hast weitere Tipps? Dann freue ich mich über deine Empfehlung unten in den Kommentaren! Tipps für einen Ausflug nach Sylt im Sommer gibt’s zudem in meinem Artikel „Strand, Dünen, Meer: Ein Wochenende auf Sylt“. Wenn dir der Artikel gefallen hat, teil ihn doch gerne mit deinen Freunden! Damit du keine neue Geschichte mehr verpasst, kannst du mir außerdem auf Facebook, Pinterest, Instagram und Tripadvisor folgen. Oder du abonnierst dir My Happy Places als Newsletter.

Autor

Willkommen bei My happy Places! Ich bin Britta, Journalistin, lebe in Hamburg und liebe es, zu reisen. Hier nehme ich dich mit zu meinen Lieblingsorten rund um die Welt. Viel Spaß!

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